Belgien

In Belgien gibt es gegenüber Frankreich kaum noch Kreisverkehre, die Häuser stehen alle dicht an der Straße, da ist wenig Grün zu sehen, viele Tabakläden haben keine Briefmarken mehr, die Baguettes werden weniger, dafür gibt’s wieder richtige Brote und viele Ladenketten, die man auch in Deutschland kennt. Das Land ist sehr zugebaut, nicht nur mit Häusern, auch das Straßennetz ist sehr dicht. Zu jedem Ort, den ich aufsuchte führte ein Teil der Strecke über die Autobahn. Man muss schon sehr suchen um ein paar Grünplätze zu finden.

Als Erstes war ich am Canal du Centre bei Mons in Mittelbelgien. Der Canal überwindet die Wasserscheide zwischen Maas und Schelde und verbindet die Steinkohlereviere von Wallonien mit Brüssel oder besser seinen Industriegebieten. Und da am Scheitel dieser Wasserscheide kaum Wasser für Schleusen zur Verfügung stand haben sie 4 Schiffshebewerke zwischen 1882 und 1917 gebaut, die heute als Kulturlandschaft Welterbe sind. Sie sind noch in Schuss und die Freizeitschiffahrt benutzt sie. Jedes der vier Werke überwindet einen Hub von ca. 16 m. Sie haben dazu zwei Wannen die voneinander unabhängig arbeiten können. Die Hydraulik besteht aus einem einzigen Zylinder der in der Mitte der Wanne angeordnet ist.  Für die Berufsschiffahrt gibt es ein neues Hebewerk, das den Hub mit einmal bewältigt. Eine gewaltige Anlage.

Neben dem Hebewerk Nr. 4 in Thieu hab ich auch gleich einen Stellplatz gefunden, an dem ich drei Mal geschlafen habe. Es sind ja alles kleine Entfernungen hier. Am zweiten Tag war ich erst in Mons. Die Stadt hat einen Bellfried, den ich fotografiert habe, und von dort bin ich nach Spiennes gefahren zu den dortigen Feuersteinminen deren Besichtigung untertage aber erst am nächsten Tag möglich war. So hab ich mich nur für die Besichtigung angemeldet und da wieder nicht fotografiert werden durfte hab ich mich als Journalist geoutet und gleich noch eine Sonderführung zwei Stunden früher in einer Grube, in der noch Ausgrabungen gemacht werden, durch den Archäologen bekommen.

In der Region um Mons liegen die meisten der Wallonischen Kohlegruben. Sie sind die Fortsetzung des Nordfranzösischen Kohlerevieres in Belgien und sind Teil des nordwesteuropäischen Kohlegürtels. 4 Gruben gehören dazu, 2 davon, Le Grand Hornu in Hornu und Bois du Cazier in Marcinelle, hab ich besucht. Die erste ist nur noch in Resten erlebbar, diese sind aber als Designzentrum gut erhalten und ausgebaut. Bergbauliches oder anderes zum Betriebsablauf ist nicht zu sehen, auch kann man die Bedeutung der einzelnen Gebäude nicht mehr erkennen. Anders in Bois du Cazier. Die Grube ist in allen Teilen gut erhalten und war Schauplatz eines der schwersten Grubenunglücke in Europa. Am 8. August 1956 fing die Grube durch Bedienungsfehler an der Förderanlage Feuer und 262 Bergleute kamen zu Tode, darunter alleine ca. 160 italienische Bergleute. Das Gedenken an dieses Unglück ist auch heute noch lebendig an diesem Ort. Die Blegnymine in Blegny konzentriert sich auf Technologie. Da sie erst 1980 stillgelegt wurde, kann sie die Arbeitsweise aus dieser Zeit zeigen, aber auch Technologien aus dem 19. Jahrhundert werden gezeigt. In der vierten Mine, Bois de Luc in Houdeng Aimeries, stehen die sozialen Bedingungen im Mittelpunkt. Ein industrielles Musterdorf ist erhalten, in dem sich das Leben der Bergarbeiter von der Geburt bis zum Tod abspielte. Alles, Schule, Arzt, Kirche usw., ist noch vorhanden und kann besichtigt werden.

Die Dritte, um Mons herum gelegene Welterbestätte sind die Neolithischen Feuersteinminen von Spiennes. Vor ca. 6000 Jahren begann der Feuersteinabbau zunächst an der Oberfläche und dann gruben die Menschen immer tiefer in die Oberfläche hinein. Kalkstein aus Meeressediment steht da an und dazwischen Feuerstein führende Schichten. Sie gruben bis zu 16 m tief und dann untertage in einem Umkreis von vielleicht 20 bis 30 m. Wenn nichts mehr gefunden wurde, dann gruben die Menschen daneben die nächste Grube. Auf diese Art wurde eine ganze Gegend durchörtert. Die Gruben stürzten immer mal ein und so findet sich bei Grabungen neben anstehendem Gestein auch Konglomeratschichten von eingestürzten Gruben. Das Haupterzeugnis der Gegend waren Beilklingen bis zu 25 cm Länge, die gleich neben den Gruben hergestellt wurden. Für eine gefundene Siedlung geht man von ca. 150 Einwohnern aus, die sich alle mit dem Feuerstein beschäftigt haben. Eine gewaltige Menschenansammlung für die Steinzeit. In einem Infocenter kann man das nacherleben und einen Film über die Herstellung eines Beiles kann man auch sehen. Die Mitarbeiter waren sehr bemüht und unterstützten mich wo es ging. Selbst bei der Führung untertage haben andere Besucher für mich ins Englische übersetzt. Das fand ich supernett.

Die Kathedrale von Tournai, Richtung Norden von Mons aus, war das nächste Ziel. Man wills gar nicht glauben, aber die Stadt war im 5. Jahrhundert unter König Chlodwig die erste Hauptstadt des aus dem untergehenden Römischen Westreich entstehenden Frankenreiches ehe dieser Paris als Hauptstadt wählte. Hier entstand um 1110 ein Kathedralneubau als Ersatz für eine im 9. Jahrhundert abgebrannte Kirche. Man baute das Langhaus romanisch und das Querhaus zeigt erste Elemente der aufkommenden Gotik. Der romanische Chor wurde im 13. Jahrhundert abgerissen und gotisch wieder aufgebaut. Den Rest der Kathedrale gotisch neu zu bauen unterließ man aber. So haben wir heute einen dreigeteilten Bau: das Langhaus romanisch, der Chor gotisch und das Querhaus mit 5  Türmen im unteren Teil romanisch und im Abschluss gotische Elemente, Einflüsse, die wahrscheinlich aus der Ile de France stammen. Die Kathedrale ist einer der größten Vorgängerbauten der französischen, hochgotischen Kathedralen. Die 5 Türme sind auch das Wahrzeichen der Kathedrale und der Stadt. 4 Türme in den Ecken zum Chor und zum Langhaus und der Vierungsturm sind es.

Von Tournai bin ich Richtung Brügge gefahren bis Kortrijk. Hier habe ich einen Bellfried fotografieren können und eine zweite Welterbestätte begann mich ab hier zu beschäftigen, die flämischen Beginenhöfe.

Zuvor jedoch hatte ich ein ziemlich krasses Erlebnis: irgendwo auf meiner Fahrt überschritt ich die Grenze zwischen Wallonien und Flandern. Einen derart abrupten Wechsel der Lebensverhältnisse hab ich noch nicht erlebt. Während in Wallonien, dem Gebiet aus dem ich kam, nicht nur in den Ortschaften, sondern auch die Landstraßen in einem jämmerlichen Zustand waren und auch die Bausubstanz sehr zu wünschen übrig ließ änderte sich das in Flandern schlagartig als wäre man in ein anderes Land gefahren. Ich dachte erst, es liegt an der Lage als Grenzregion, aber offensichtlich sind die wirtschaftlichen Verhältnisse in Flandern viel besser.

Der Bellfried in Kortrijk stand mir quasi im Weg, ich musste nicht mal suchen und der Beginenhof war gleich um die Ecke, alles also kein Problem und so konnte ich die Stadt bald wieder verlassen.

In Brügge haben mich wieder mehrere Stätten beschäftigt. Der Bellfried ist Teil der Tuchhallen direkt am Marktplatz. Hier wickelten die Tuchhändler ihre Geschäfte ab und wurde das Tuch gelagert. Der Beginenhof ist größer als in Kortrijk und liegt etwas abseits.

Und schließlich ist in Brügge die Altstadt Welterbe. Im 2. Jahrhundert gab es schon eine Siedlung hier. Die Einwohner handelten bis England. Im 9. Jahrhundert bekommt Brügge eine Burg um die Überfälle der Wikinger abzuwehren. Und 1134 schließlich lässt eine Sturmflut einen Nordseearm entstehen, der mit dem Fluss Reie zusammen Brügge mit der Nordsee verbindet. Die Voraussetzungen für den Fernhandel zur See sind damit gegeben. Um 1200 hält man die erste Messe ab und ab 1246 trifft man sich im Hause der Familie Van der Beurze um Termingeschäfte abzuwickeln. Vom Familiennamen leitet sich später der Begriff Börse ab. Im 15. Jahrhundert beginnt das goldene Zeitalter Brügges. Die Stadt wird unter der Herrschaft der Herzöge von Burgund zu einer der reichsten Städte Europas. Die nordische Backsteingotik prägt die Stadt und sie ist im 15. Jahrhundert Heimstatt der flämischen Primitiven, einer Richtung der Malerei, deren führende Vertreter, Jan van Eyck und Hans Memling, in der Stadt wirken.

In Brüssel ging es mir wie in Moskau. Beide Städte haben 3 Welterbestätten, beide eine Metro und in beiden Städten konnte ich, dank Metro, alle Welterbestätten an einem Tag besuchen. Das Brüsseler Netz ist nicht so ausgedehnt, aber für meine Zwecke hat es gereicht.

Vom Eindruck her am atemberaubendsten ist natürlich der Grote Markt, der zentrale Platz in Brüssel. Bereits im 11. Jahrhundert erwähnt, fand dort früher alles Wichtige im Leben Brüssels statt. Neben dem Markt natürlich wurden dort Bekanntmachungen verlesen, Hinrichtungen durchgeführt oder Versammlungen abgehalten. 1695 wurden die Häuser durch Beschuss französischer Truppen vollständig zerstört. Lediglich einzelne Mauern des Rathauses und des Maison du Roi bleiben stehen. Der Neuaufbau ging relativ schnell vonstatten, bis 1711 ist auch das Rathaus wieder aufgebaut. Der Stadtrat nimmt bei den Bauplänen großen Einfluss und so ist ein weitestgehend harmonisches Ensemble entstanden, das auf Grund der Fülle an Skulpturen, der vielen Fenster und dem anderen Bauschmuck inkl. Vergoldungen sehr beeindruckt. Nicht umsonst wird er der schönste Platz Europas genannt. In Jahresabständen wird der Platz mit Blumenbildern geschmückt. Ich hatte jedoch das Glück, Gemüsebilder zu sehen.

Das Stoclet Haus hat der Wiener Architekt und führende Vertreter der Wiener Sezessionisten, Josef Hoffmann, gemeinsam mit Künstlern der Wiener Werkstätte von 1909 bis 1911 als Auftragswerk von Adolphe Stoclet, einem Banker, gebaut. Sie schufen hier ein Gesamtkunstwerk wozu neben der Architektur auch das Interieur, Möbel, Türen, Böden und Wände gehörten. Da es weder finanzielle oder gestalterische Vorgaben gemacht wurden, konnten alle beteiligten Künstler ihre Vorstellungen voll verwirklichen. Höhepunkt soll wohl der sog. Stoclet Fries, eine Arbeit von Gustav Klimt, im Speisezimmer des Hauses sein. Sehr viel mehr ist leider nicht zu erfahren oder gar zu sehen, da das Haus nicht zugänglich ist. Das Haus ist äußerlich sehr Unansehnlich, da die Fassade stark von Grünspan verschmutzt ist.

In Brüssel sind auch bedeutende Teile des Werkes von Victor Horta, den führenden Vertreter des belgischen Jugendstiles zu sehen. Vier Arbeiten von Victor Horta sind in Brüssel Welterbe. Er hat sie alle im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts realisiert. Das Haus Tassel (erbaut 1893), das Haus Solvay (1894), das Haus von Eetvelde (1895) und das Wohn- und Arbeitshaus von Victor Horta (1898) sind die frühesten Werke des Jugendstils in Brüssel. Er verwendete bei seinen Bauten viel Glas und Stahl um das Innere großzügig und luftig zu machen. Die Bewohner erhielten so die Möglichkeit die Räume individuell auszugestalten. Horta begriff diese Aufträge immer als Gesamtkunstwerk. Die Wand- und Bodengestaltung waren mit inbegriffen, ebenso Details wie Türen, selbst Türgriffe oder individuelle Möbel. Moderne Haustechnik (Heizung, Lüftung u.a.) wie sie zur Verfügung stand, erleichterte den Bewohnern den Alltag. Mit seinen Bauten belebte Victor Horta die Tradition bürgerlicher Privatvillen, die Wohn- und Repräsentationsfunktionen miteinander verbanden.

Zwischen Brüssel und Antwerpen befanden sich in Leuwen, Mecheln und Lier noch einmal drei Beginenhöfe. Beginen, es gibt auch eine männliche Form Begarden, aber meistens waren es doch Frauen, verwitwete oder ledig gebliebene. Sie wollten ein Leben mit Gott führen aber kein Ordensgelübde ablegen, sodass ein Weg zurück in ein normales bürgerliches Leben offen war. Diese Bewegung war im 13. / 14. Jahrhundert sehr über Europa verbreitet. Die Kirche tolerierte dies nicht immer und überall, da auch Strömungen darunter waren, die die offizielle Kirche ablehnten. Schließlich kam es 1311 auf dem Konzil von Vienne zu einer Verurteilung, von der der Papst nur das Gebiet von Flandern ausnahm. Daraufhin ging die Bewegung in ganz Europa, außer in Flandern eben, zurück.

Die Höfe sind in sich abgeschlossene Bereiche, meisten mit einer Mauer umgeben, die wenige Zugänge hat, aber mitten in der Stadt liegt. Dort sind für die Beginen kleine Wohnungen oder Häuser vorhanden, die sich um Kapelle oder Kirche, ein Versammlungshaus, ein Haus der Meisterin und Nebengebäude gruppieren. Oft gibt es heute einen Shop, manchmal auch einen Infopunkt. Der Erhaltungszustand ist unterschiedlich. Das beste Konzept hatte Leuwen, da hat die Uni aus der ganzen Anlage Studenten- und Professorenwohnungen gemacht.

In Amsterdam gab noch einmal es ein Haus von Le Corbusier, das ich fotografieren konnte.

Das einzige Museum als Welterbestätte weltweit ist in Antwerpen ist das Plantin Moretus Haus. Christoph Plantin, Buchdrucker und Lederbearbeiter aus Frankreich, gab in Antwerpen sein erstes Buch 1555 heraus und entwickelte seine Firma in 20 Jahren zur Führenden in der Stadt. Er legte Wert auf Qualität und in kürzester Zeit ließen viele Wissenschaftler und Schriftsteller hier drucken. U.a. arbeitete er mit P. Paul Rubens, dem Maler, zusammen, der für ihn Bücher illustrierte, selbst Bücher bei ihm kaufte und Familienmitglieder porträtierte.  Dank seiner Firma war Antwerpen neben Paris und Venedig eine der führenden Städte im Buchdruck im mittelalterlichen Europa. Die Firma lief über neun Generationen immer am selben Platz, dem Vrijdagplats, in der die Familie auch wohnte. 1876 verkaufte die Familie das Anwesen an die Stadt mit allen persönlichen Dingen und der Firmenausstattung um daraus ein Museum zu machen. Es ist die älteste, komplett erhaltene Druckerei der Welt. Die Werkstätte ist u.a. mit Technik aus dem 16. Jahrhundert und die Wohnräume mit Möbeln aus dem 18. Jahrhundert ausgestattet.

Als letztes vielleicht nochmal ein ganz anderes Thema:

Was mir in Frankreich hin und wieder aufgefallen ist, hat sich hier sehr verstärkt: die Polizeipräsenz. Unversehens, meistens in großen Städten, laufen drei Polizisten oder auch Soldaten mitten durch die Fußgängerzone, schwer bewaffnet, die Maschinenpistole im Anschlag. In Antwerpen war ein Volksfest in der Innenstadt, da waren laufend welche zu sehen. Auch ich selbst hatte 2 Begegnungen. Einmal stand ich auf einem Waldparkplatz, da kam ein Streifenwagen und leuchtete nachts um 24 Uhr ins Auto und als ich an einem Sportkomplex mit anderen Campern zusammen stand, stellte sich ein Streifenwagen eine halbe Stunde dazu. In beiden Fällen haben die nichts unternommen. So engen Polizeikontakt hab ich aber die ganze Reise nicht gehabt.

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