Die Niederlande zum Abschluss meines Reisejahres 2017 war noch einmal etwas ganz besonderes für mich. Viele reden darüber, auch das Netz, man dürfe hier nicht frei stehen sondern nur auf Campingplätzen, das würde mit hohen Strafen geahndet. Das stimmt ein bisschen nicht, aber auch ein bisschen schon. Seit einigen Jahren ist das generelle Verbot aufgehoben und in das Ermessen jeder Gemeinde gestellt. Problem hierbei: einige Gemeinden schildern das aus. Die meisten aber nicht und so war jede Übernachtung ein Abenteuer. Ich hab mich an die Tipps meiner App gehalten und bin gut gefahren dabei. Besonders sind die Niederlande für mich auch deshalb, weil die ihre Autobahn Anschlussstellen so ausgebaut haben das man die mit voller Geschwindigkeit befahren kann und auch darf. Ich hab den Verkehr dadurch als viel ruhiger und angenehmer empfunden.
Ehe ich mich mit den Welterbestätten beschäftigte, habe ich als Erstes bei Edith und Henk, zwei liebenswerten Tramps, die, mittlerweile beide über 80 Jahre, immer wieder mit ihrem Wohnwagen aufbrechen um sich die Welt anzusehen. Wir haben unendlich gequatscht und Bilder angesehen. Kennen gelernt hatten wir uns vergangenes Jahr auf einem Campingplatz in Rumänien. Zwischendurch haben sie mir ein bisschen Rotterdam gezeigt und eine Welterbestätte, das Mühlennetzwerk bei Kinderdijk haben wir auch besucht. Hier gab es ein paar Polder die über Kanäle schlecht zu entwässern waren. Im frühen 18. Jahrhundert hat man deshalb eine Gruppe von insgesamt 19 Windpumpen erbaut, die seither das Wasser aus dem Polder in den Kanal pumpten. Die Mühlen sind gut erhalten, etliche auch bewohnt und meist privat. Eine kann noch besichtigt werden. Die Arbeit verrichten heute aber Elektropumpen. Das Grasland auf dem Polder, die Kühe die dort weiden und diese Mühlen, dieses Bild ist es seit vielen Jahrzehnten, das für „typisch holländisch“ herhalten muss.
Ich konnte dann direkt vor ihrem Haus schlafen, früh noch duschen und bin dann weiter. Insgesamt war es für mich wie im Hotel und ich werde den Besuch in guter Erinnerung behalten.
Nicht weit vom Wohnort der Beiden entfernt war auch schon die nächste Welterbestätte. In Rotterdam die Van Nelle Fabrik, ein bedeutender Bau der niederländischen Moderne. Von 1924 bis zum Jahre 1990 wurde dort Kaffee, Tee und Tabak verarbeitet. Die importierte Rohware war durch Rotterdams Hafen schnell zur Stelle und so konnte die konfektionierte Ware von hier aus in ganz Europa verteilt werden. Von 1924 bis 1931 wurde der Bau von Leendert van der Vlugt errichtet. Licht und Luft sollte in das Gebäude. So wurde es in Stahlbeton errichtet und eine Fassade in Glas und Stahl vorgehängt. Rationelle Arbeitsabläufe konnte man hier gut realisieren und gute Arbeitsbedingungen schaffen. Nach Stilllegung der Fabrik wurden die Gebäude saniert und heute ist es ein großer Veranstaltungs- und Bürokomplex. Leider kann man dadurch nur das Äußere besichtigen. Innen war er nicht zu besichtigen. Auch Infomaterial war keines zu bekommen.
Mit der Außenbesichtigung war ich dann schnell fertig und so bin ich noch nach Utrecht gefahren. Hier gibt es das Rietveld Schröder Haus. Keine Villa sondern ein Einfamilienhaus, geplant von dem Architekten Gerrit Rietveld gemeinsam mit der Bauherrin Truus Schröder Schräder, ist es das bedeutendste Werk des niederländischen De-Stijl Stiles, eine Abart der niederländischen neuen Moderne. Dieser äußert sich in einer abstrakten Formensprache mit großflächigen Fensteröffnungen und Übergängen von innen nach außen, die von horizontalen und vertikalen Elementen eingerahmt werden. Als Farben verwendet dieser Stil Rot, Blau und Gelb zur Hervorhebung einzelner Bauelemente und ansonsten Schwarz, Grau und Weiß. Die Innenräume des Einfamilienhauses sind mit einer Vielzahl verschiebbarer Innenwände, Falttüren und weiteren Klappbrettern ausgestaltet um die Räume flexibel nutzen zu können. Hauptziel des Entwurfes war eine freie nicht einengende Gestaltung der Räume. Zur Bauzeit, 1924, konnte man von dem Platz aus noch frei über die Polder sehen, deswegen war der Anbau an das doch ziemlich große Nachbarhaus kein Problem.
Und meine erste „freie“ Nacht in den Niederlanden war ein voller Erfolg. Südlich von Utrecht in der Stadt Vianen war ein Standplatz für max. 72 Stunden von der Gemeinde ausgeschildert. Da schläfts sich dann doch ruhiger. Hier habe ich auch gleich meinen ganzen Schriftkram erledigt, ehe ich nach Amsterdam aufbrach, wo mich 2 Welterbestätten erwarteten.
Die Erste sind die Grachten. Durch die ständig wachsende Bevölkerung Anfang des 17. Jahrhunderts begann man das System der Heren-, Keizers- und Prinsengracht halbkreisförmig um die Singel anzulegen. Entstanden die ersten Grachten als Gräben zur Verteidigung, so legte man jetzt die Grachten an um den Warenverkehr abzuwickeln, da sich hier viele Kaufleute ansiedelten. Das Bauland war teuer und man konnte sich, wenn überhaupt, nur kleine Grundstücke leisten. Ein neure Typ Stadtpalast entstand dadurch. Schmal, hoch und die Giebel reich geschmückt. Das ist bis heute so geblieben und fast nur Firmen können sich eine Ansiedlung dort leisten.
Die zweite Stätte ist die Verteidigungslinie um Amsterdam. Nach den deutsch – französischen Krieg 1870/71 begannen die Planungen für das Projekt und von 1881 bis 1914 dauerten die Arbeiten. In einem Radius von 15 – 20 km um die Stadt wurde mit Dämmen, Schleusen und anderen Wasserbauwerken ein Überflutungssystem geschaffen, das den Zugang zur Stadt den Angreifern unmöglich machen sollte. Abschnitte, die dieses System unterbrachen, wie Zufahrtswege oder Geländeerhebungen, wurden mit insgesamt 46 Forts und Geschützstellungen geschützt. Geplant war die Flutung, die sog. Inundierung; mit einer Höhe von 50 cm. Zuviel um schnell zu laufen und zu wenig um mit Booten zu fahren. Die Forts besaßen Betonkasematten, Panzerkuppeln und Geschützstellungen. Sie waren in Friedenszeiten nicht besetzt. Bei Mobilmachung waren ca. 250 bis 300 Mann dort stationiert. Heute werden diese Forts als Ausstellungsraum, Hotel, Gedenkstätte oder Museum genutzt.
Einige dieser Forts befinden sich auf dem Gelände einer weiteren Welterbestätte, dem Beemster Polder nördlich von Amsterdam.
Ab 1607 durften Amsterdamer Kaufleute den Beemster See trockenlegen, der sich immer weiter ausbreitete. Sie beauftragten einen Mühlenbauer, Jan Adriaanzs, damit, der das Werk bis 1612 vollendete. Erst wurde der gesamte See eingedeicht und anschließend leer gepumpt. 7208 ha Land entstanden so, die nach den damals herrschenden Schönheitsidealen der Renaissance in Rechtecke im Verhältnis 2:3 aufgeteilt wurden. An diesen Grenzen durchziehen noch heute Entwässerungsgräben die Landschaft und wurden Fahrwege angelegt. Ein Dorf entstand geplant, Mittelbeemster, andere eher zufällig. Der Getreideanbau misslang, das Gebiet war zu feucht. Weidewirtschaft hingegen florierte und so entwickelte sich das Gebiet zum besten Käselieferanten der Niederlande, der es bis heute ist. Die alten Bauernhöfe und auch die Landsitze der Kaufleute sind leider bis auf wenige verschwunden und haben neueren Gebäuden Platz gemacht.
Etwas südlich des Dammes, der das Ijsselmeer von der Nordsee trennt, konnte ich dann 2Tage in wechselnder Gesellschaft an einem kam genutzten Hafen direkt am Wasser verbringen und wieder alles schreiben und aufarbeiten.
Meine letzte große Strecke verlief dann genau über diesen Damm nach Westfriesland.
In Lemmer ist das Dampfpumpwerk Woudagemaal. Wobei jetzt einiges doppelt ist. Dirk Frederik Wouda war der Ingenieur, der es plante. Und Gemaal ist aus dem Niederländischen und bedeutet „Schöpfwerk“. Es wurde 1920 in Betrieb genommen und hatte die Aufgabe, den Wasserspiegel des Kanalsystems Frieslands konstant auf einer Höhe von -52 cm zur Meereshöhe zu halten. Heute reguliert das ein Werk mit Elektropumpen in Stavoren und Woudagemaal läuft nur noch zu Hochwasserzeiten ca. 5 – 6 Mal im Jahr. Wenn das Schöpfwerk voll arbeitet, kann es in der Minute ca. 4.000 Kubikmeter Wasser in der Minute, das sind 4.000.000 l, ins Ijsselmeer pumpen. Der Dampf wird in 4 Kesseln erzeugt wobei am Tag dann 15 Tonnen Schweröl verfeuert werden. Hochgefahren wird es mit Diesel, da das Schweröl erst auf 110 Grad erhitzt werden muss um zu fließen. Dazu brauchen 11 Mann Bedienung ca. 6 Stunden. 4 Doppel-kolbendampfmaschinen treiben dabei 8 Zentrifugalpumpen. Technik, die heute noch so gut funktioniert wie vor bald 100 Jahren.
Die achte, die letzte Welterbestätte in den Niederlanden, war für mich Schokland und Umgebung. Dieser Landstrich ist Bestandteil der Provinz Flevoland und hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Vor ca. 10.000 Jahren wird die Gegend erstmals besiedelt. Viele Funde zeugen davon: Keramik, Geräte, Gräber und Reste von Hausfundamenten. In der Zeit von 1500 v.Chr. bis 1000 n.Chr. ist kein Besiedlungsnachweis möglich. Erst nach diesem Zeitraum ist wieder eine Besiedlung gesichert. Die Menschen legen die Moore trocken und betreiben Landwirtschaft und Fischerei. Durch die Trockenlegung versinkt das Gebiet und die Nordsee dringt weiter vor. Ein Leben ist nur noch auf künstlich erhöhten Wohnhügeln, den Wurten, möglich. Die Bewohner versuchen sie durch Holzpalisaden vor weiteren Landabbrüchen zu schützen. Im Jahre 1825 jedoch versinken weite Teile der Insel in einer Sturmflut. Das letzte erhaltene Gebäude ist die 1834 erbaute Kirche von Middelbuurt. Als man 1936 beginnt, den Nordostpolder einzudeichen, steigt langsam auch Schokland aus den Fluten wieder empor. Heute ist der Küstenverlauf der ehemaligen Insel durch Bäume gekennzeichnet und man kann die Reste von damals besichtigen.
Was gibt es sonst noch:
Die Niederlande besitzt eine in weiten Teilen künstlich angelegte Landschaft, so kam es mir wenigstens vor. Aber alles macht auch einen gepflegten Eindruck. Nur wenige Straßenränder sind nicht gemäht. Sie sind ein liebenswürdiges, freundliches Völkchen und man kommt schnell in Kontakt. Bei den Meisten, auch älteren, habe ich ein sofortiges weiterreden in Englisch erlebt, wenn es erforderlich ist. Das war bei den Belgiern und z.T. auch bei den Franzosen nicht so.